Die Burg von Harlech prangt hoch auf einer Felsklippe und bereitet einen der besten Ausblicke über die nördliche Hälfte der Cardigan-Bucht und auf der Landseite über weite Teile des Snowdonia-Nationalparks. Der walisischen Sage nach befinden sich die jetzigen Burgruinen auf denen einer früheren Festung, welche einst dem Riesen Bendigeidfran (dem gepriesenen Brân) gehörte, und der hier mit seiner Schwester Branwen lebte, nach derein einer der Türme der jüngeren Burg benannt ist. Wie dem auch sei, Archäologen haben keine Beweise für eine walisische Festung finden können, die älter ist als König Edwards Schloss.
Edward I. erteilte 1283 den Bauauftrag als Teil seines großen „Eisernen Rings“ an Burgen die walisische Küste entlang, zur Unterwerfung der einheimischen Bevölkerung. Zu dieser Zeit war es noch möglich Harlech per Boot zu versorgen, da das Meer bis an die hohen Felsenklippen reichte. Als 1404 Owain Glyndŵr die Burg belagerte, lieferte sich die hier einquartierte, stark unterbesetzte Garnision ihm aus. Daraufhin etablierte Glyndŵr Harlech über die nächsten vier Jahre hin als seinen Familiensitz und als sein Militärhauptquartier. Die berühmteste Belagerung ereignete sich allerdings erst zwischen 1461 und 1468, zur Zeit der Rosenkriege. Diese Belagerung, die längste der britischen Geschichte, soll das Marschlied „Men of Harlech“ inspiriert haben.
Seit der Romantik lassen sich immer wieder viele Reisende durch Harlech Castles malerische Umgebung und seiner aufregenden Geschichte in diesen abgelegenen Winkel von Wales locken. Der deutsche Journalist Francis Brömel erfreute sich außerdem an den einheimischen Spukerzählungen über Geister und Irrlichter, die über das Marschland wabern, welches durch natürliche Versandung in den letzten Jahrhunderten entstanden ist.
In Harlech bilden den Hauptanziehungspunkt die imposanten Reste einer von Eduard I. gegründeten alten Burg. Der Eroberer von Wales baute diese Burg von Harlech zugleich mit den Burgen von Carnarvon und Beaumaris, um die widerspänstigen Walliser im Zaume zu halten, und bis gegen das Ende des 15. Jahrhunderts spielte sie als Sammelpunkt in Aufständen, als Zufluchtsort von Verbannten, durch Belagerungen und Eroberungen eine hervorragende Rolle in der Geschichte von Wales. Zuletzt leistete sie unter dem wälschen Häuptling Dafydd a[p] Einion dem sie belagernden Eduard IV. so tapferen Widerstand, daß dieser den Verteidigern einen freien Abzug gewähren mußte, zu Ehren welches Ereignisses ein wälscher Barde eine Art walliser Marseillaise dichtete, die noch jetzt als „The march of the men of Harlech“ im Volksmunde fortlebt. Wir bestiegen die Burg von Harlech an einem jener bewölkten Vormittage, wo die Wage des Wetters ungewiß zwischen Regen und Sonnenschein schwankte. Die Burg ist nicht so umfangreich, wie die Burgen von Beaumaris und Carnarvon, aber ihre herrliche Lage auf einem schroff über die umgebende Uferebene aufsteigenden Felsenberge und die wundervolle Aussicht von der Höhe ihrer altersbraunen, epheuumgrünten Mauern über das Meer und die schön geschwungenen Küstenlinien von Cardigan-Bay und tief hinein in das Bergland von Nordwales, bringt einen imposanten Eindruck hervor.
Auf einer solchen Bahn, „wo Niemand Eile hat“, erreichen wir Schloß Harlech, auf hoher Klippe über weitem Marschland gelegen; gleichsam einer Theaterloge, zu dem Zwecke erbaut, um den Gigantenberg von Wales, den Snowdon, von seiner imponirendsten Seite betrachten zu können. Dieses Marschland ist eine Fundgrube von Geistergeschichten. Es scheint bei Nacht mitunter in Flammen zu stehen, indem seine Ausdünstung Milliarden von Irrlichtern erzeugt. Diese Ursache zu entdecken, brauchte es ein volles Jahrtausend, denn bis zu Anfang dieses Jahrtausends konnten Erscheinungen, die schon in Gedichten aus dem neunten Jahrhundert erwähnt werden, nichts Anderes als „eine nächtliche Heerschau leuchtender Seelen auf uraltem Schlachtfelde“ bedeuten. Über das Alter des Schlosses weiß man nur, daß im letzten Jahrhundert eine Reparatur desselben nöthig wurde, als es bereits dreihundert Jahre alt gewesen. Nach einer alten Schlachtschilderung wurden in seinen Hallen von einem Eroberer 6000 Mann niedergemetzelt, was auf beträchtlichen Umfang schließen läßt, den auch die heute noch vorhandenen Ruinen bewahrheiten. In der Zeit von 1404 bis 1647 wurde das Schloß, damals noch von der See erreicht, fünf Mal belagert und erobert; es war im vorigen Jahrhundert wohl erhalten genug, um einen König und seinen Hofstaat zu beherrbergen und ist noch heute Eigenthum der Krone. Als Curiosum sei aus einer überaus reichen Chronik gemeldet, daß schon im Jahre 1805, also lange zuvor, ehe die Zeitungen das Ding entdeckten, an dieser Küste von Cardigan die berühmte „Seeschlange“ zum ersten Male gesehen wurde!