Llanberis liegt an zwei Seen in einem langen, schmalen Tal nordwestlich des Snowdon. Die ältesten Siedlungsspuren stellt die Wallburg Dinas Ty Du aus der Eisenzeit dar. Es wurden auch römische Funde gemacht, welche aller Wahrscheinlichkeit nach eine Verbindung mit dem großen Militärlager Segontium am heutigen Stadtrand bei Caernarfon haben. Im sechsten Jahundert gründete der Heilige Peris eine Einsiedelei am südlichen Ende des Peris-Sees und der Heilige Padarn etablierte eine Kirche an den Ufern des Padarn-Sees.
Bis ins frühe 19. Jahrhundert war die Gegend nur spärlich besiedelt und die Landwirtschaft diente als Haupteinkunftsquelle. Im späten 18. Jahrhundert began der Abbau von Schiefer, welcher zuerst in kleinem Umfang in Tagbauen entlang den nordöstlich gelegenen Berghängen gebrochen wurde. Mit der Eröffnung des Vivian-Steinbruchs in den 1870s erlebte die Schiefergewinnung einen dramatischen Aufschwung durch den optimierten Abbau unter Verwendung von Schießpulver und dem Ausbau von Schienensträngen zum verbessererten Abtransport der Schiefer aus dem Steinbruch. Durch diesen großformatigen, industriellen Berbgau wuchs die Bevölkerung von circa 700 Einwohnern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf über 3,000 zum Ende der zweiten Hälfte.
Trotz der Ausweitung des industriellen Tagbaus das Tal entlang kamen seit der Romantik mehr und mehr Touristen nach Llanberis. Das Royal-Victoria-Hotel warb mit seinem Angebot an mietbaren Ponies und Reiseführern zum nahegelegenen Snowdon und verwahrte zudem die Schlüssel zum Grundstück, auf welchem die Dolbadarn-Burg steht. Der deutsche Journalist und Reiseschiftsteller Julius Rodenberg war besonders von der schönen Umgebung des Hotels und dem hoteleigenen Harfenspieler angethan, welcher jeden Abend in der Lobby aufspielte. Von der Muse überwältigt, dichtete Rodenberg eines Abends sogar einen neuen deutschen Text zur Melodie des walisischen Volksliedes „Ar hyd y nos“. Heutzutage ist der Tourismus die wichtigste Wirtschaftsbranche in Llanberis. Die kleine Stadt hat sich zu einem Zentrum für Wanderer, Kletterer und Mountainbiker entwickelt und lockt auch Taucher in die gefluteten ehemaligen Schieferbüche.
Hinter unserem Wirthshause befand sich in der Entfernung einer Meile ein großer Slatequarry, den wir zuerst besahen. Man sagte uns, daß in diesem Quarry jetzt wenigstens 1000 Menschen Beschäftigung fänden. Es gab noch mehre kleine in der Nachbarschaft des Ortes umher, und aus allen ertönte ein beständiges Krachen der Pulversprengungen und ein fast ununterbrochenes Poltern der von den Bergen herunterfallenden „Slate-slabs“ (Schieferblöcke). Der ganze Berg des Steinbruchs war gewiß bis zu einer Höhe von 1000 Fuß terrassirt, mit Stufen, deren jede nach meiner ungefähren Schätzung etwa 100 Fuß hoch sein mochte. Diese Stufen oder Terassen waren breit und groß, und jede war eine Scene des Steinsprengens und Steinbrechens. Auf mehren derselben polterten die Schieferblöcke herab und wurden hier sofort in die erwähnten Prinzessinen- und Herzoginnen-Formen gebracht und dann in großen Massen auf „slanting railroads“ (schiefe Eisenbahnen), die am Berge sich hinschlängelten, herabgebracht. Sonst soll es in diesem wilden Thale viele Adler gegeben haben. Die Leute versicherten mir aber, daß sie durch die Slatequarries und durch den unaufhörlichen Pulverdonner derselben daraus vertrieben worden seien.
Eine ihrer Hauptkunden, sagten sie mir, sei seit Kurzem das Kap der guten Hoffnung geworden, wo wahrscheinlich jetzt alle Häuser mit Schiefer gedeckt werden möchten. Das englische Gouvernment deckt seine öffentlichen Werke, wie sie mir sagten, fast überall mit Schiefer, und auch die englische Regierung ist daher einer ihrer vornehmsten Kunden.
Wo nun endlich das Dorf Llanberis beginnt, da schließen sich Tannen und Buchen lieblich zusammen und reizender als das Victoria-Hotel auf seinem Hügel unter Garten und Wald, ernst überragt von den Trümmern des Dolbadarn-Schlosses, hab’ ich nie eins liegen sehn. Dazu das eigenthümliche Leben, halb poetisch – halb humoristisch – schöne Engländerinnen mit wehendem Schleier aus jeder Gebirgsschlucht auf muthigen Ponies hervorsprengend,– Gentlemen, junge und alte, die mit ihren Bergstöcken, die Filzcylinder zerdrückt, die engen Hosen zerfetzt, die Hände zerrißen, vom Snowdon herabkommen; die Führer und die Laufjungen, die Esel und die Pferdchen, Alles durcheinander mit Lachen, Schimpfen, Brüllen und Wiehern – dazwischen das ewige Quinquelieren des Harfners, der auf der Flur des Hotels zwischen den Kleiderbrettern saß, und hoch über diesem bunten Treiben das Flattern der englischen Fahne, die ihren Schatten über die hellgrüne Rasenfläche und die Tannenwipfel am Fuße des Berges dahinwarf: das ist die Staffage des Victoria-Hotels von Llanberis! ...
In der Abendsonne saß ich gern auf dem grünen Rasenhügel vor dem Hotel. Vor mir die goldne Landschaft mit dem Wehn des Windes und der Frische des Wassers, die Tannen, die Seen, die Berge. Um diese Stunde ließ ich mir den Harfner von der Flur des Hauses kommen; er setzte sich unter den wilden Rosenstrauch, daß die Rosen ihm um Haupt und Harfe schwankten, und ich lag im thaufrischen Rasen. In seinen wild-herzlichen, träumerischen, neckischen Melodieen, die zwar nicht immer in ganz richtiger Harmoniefolge dahinrauschten, aber doch stets anregend blieben, rollte zuweilen der dumpfe Donner aus den entfernten Bergwerken. Schöne Britinnen suchten Bänke in der Nähe und horchten. Meine Gedanken aber zogen mit den Wolken gen Abend . . .
Die Melodieen, welche der Harfner am meisten spielte, waren das lieblich-frische Codiad yr Hedydd, welches ich einst zuerst hatte von Gwenni singen hören und das wehmüthige Ar hyd y Nos, welches den Walisern der liebste Ton zu sein schien, und während er spielte, sang ich im Geist und Maß der Melodien folgende Lieder still vor mich hin. ...
Ach, in der Nacht.
(Im Tone: Ar hyd y Nos.)
Stürme sausen, Wogen rauschen –
Ach, in der Nacht!
Hier am Strande will ich lauschen –
Ach, in der Nacht!
Wogen, Wogen auf und nieder, –
Sturmwind, deine dunklen Lieder
Wecken alle Leiden wieder –
Ach, in der Nacht!
Soll ich immer dein gedenken –
Ach, in der Nacht!
Schluchzend muß das Haupt ich senken –
Ach, in der Nacht! –
Hast mit Liebe mich gefangen.
Hast bethört mich mit Verlangen,
Hast bethört mich, bist gegangen –
Ach, in der Nacht!
Weh – nun pocht mir’s unter’m Herzen,
Ach, in der Nacht!
Pocht mir eine Welt von Schmerzen –
Ach, in der Nacht!
Keine Reue hilft, kein Denken –
Soll ich mich ins Meer versenken?
Soll ich dir das Dasein schenken . . . .
Ach, in der Nacht !
So giengen, mit Harfenspiel und Mittagssonnenduft die Tage von Llanberis dahin.
Zum Abschied bestieg ich noch einmal den Thurm von Dolbadarn, der einsam auf der Höhe zwischen beiden Seen steht. Es ist der einzige Rest des berühmten Schloßes, das noch vor der englischen Invasion, in grauen Jahrhunderten, erbaut ward, um den Mittelpunkt des walisischen Hochlandes zu schützen. Noch zu Ende des 13. Jahrhunderts ward Dolbadarn Schloß als eines der festesten in Nordwales erachtet. Nun ist es gebrochen und vom Wind, der hier über’s Gebirge schärfer streift, nackt gefegt. Lose Steine und hohes Unkraut füllen den Hof des Thurmes und seine Mauern zerbröckeln an der Erde, Staub mit Staub vermischend. Und doch ist es Wunder genug, daß dieser Thurm trotz der Wuth seiner einstigen Feinde und dem noch immer nagenden Zahne der Zeit sich so fest in seinen Trümmern gehalten hat. In diesem Thurme hat einst auch „der milde, der tapfre, der löwenherzige Owen, der Stolz, das Entzücken, der Abgott seiner Landsleute“ dreiundzwanzig Jahre geschmachtet als Gefangener seines Bruders Llewellyn, des letzten Fürsten von Wales, der ihn der Untreue gegen ihn beschuldigte.
Es war tiefe Nachmittagsstille. Die blauen Seen schillerten im Sonnenglanze, gegenüber der Rabenfels [der Schieferbruch Dinorwig] lag schon im Schatten. In den Mauern des Thurmes kletterten Dorfkinder in bloßen Füßchen mit flatternden Hemdchen und großen, dunklen Augen, wie Kobolde, herum. Auf einmal hörte ich unter mir ein Lied summen, welches mir wie ein Ton aus andren Welten klang. War es denn wirklich das? . . . Nein, nein – es konnte nicht sein – und doch! „Ein lust’ger Musikante – marschierte einst am Nil . . . o tempora! o mores!“ Das Lied der deutschen Studenten hier in Dolbadarn-Castle, an den Seen von Llanberis. . . . Ich ward seltsam ergriffen, und als es zum Schluß kam, da stimmte ich von oben ein: „Gelobet seist du jederzeit, Frau Musika!“ Sogleich erhoben sich unten zwei junge Männer, die unter einem Felsvorsprung im Grase gelegen hatten und Einer von ihnen rief mir ein burschikoses „Guten Morgen!“ herauf. Obgleich ich dem Accent anhörte, daß ich zu voreilig gehofft hatte, Landsleute zu finden, so war mir doch der Zufall angenehm, der mir einen jungen Mann zuführte, welcher – wie er mir sagte – in München gewesen war, um [Justus von] Liebig zu hören, und dann auch einen Sommer in Heidelberg sehr glücklich verlebt hatte. Der Andre war ein Stockengländer und verstand keine Sylbe Deutsch. Wie gesellten uns freundlich zueinander und da es sich ergab, daß wir eine Strecke Weges gemeinschaftlich machen könnten, so beschlossen wir in der Abenddämmerung abzureisen.